Das Traumpaar

Veröffentlicht am 3. September 2024 um 12:38

Es war auf der Wanderung. Ich kam aus dem Wald und sah im Tal das Waldgasthaus, dessen Möglichkeiten mich bereits seit geraumer Zeit beschäftigten. Die Fassade zeigte Balken und farbige Sprüche auf dem bleichen Putz, über dem Eingang hingen ein mittelgroßes Geweih ...

... und viele verblichene Girlanden, die nach einem Fest, das deutlich zurück lag, hängen geblieben waren. Die Tür zur Gaststube stand offen, ein mehrfach gewinkelter Pfeil wies aber den Weg zur Terrasse auf der Rückseite des Gebäudes, das mir, als ich eine weite staubige Fläche passierte, die an diesem späten Nachmittag nur einzelnen Fahrzeugen als Stellplatz diente, ungenügend klein erschien. Viel nahm ich von der Terrasse nicht wahr, nur dass sie irgendwie überdacht und von Abtrennungen umgeben war, was ihr den Hauch von einem Verschlag gab. Allein wichtig für mich war, dass ich meinen Rucksack absetzen und ein Getränk bestellen konnte, das mir auch gleich die Wirtin oder Bedienerin geschäftsmäßig, ohne auf die Beschreibung des Ungeheuren meines Durstes nur mit einem Wimpernschlag einzugehen, auf den Tisch stellte. Es war ein köstliches, kaltes Getränk, das ich umgehend noch einmal in Auftrag gab.

Die Terrasse war nahezu unbesucht, da die Zeit des großen Kaffeetrinkens wohl vorbei war. Nur an einem anderen Tisch befanden sich Personen, die ich aber erst zur Kenntnis nahm, als ein Wimmern und Ningeln herüber drang. Es war wohl so, dass das Kind den Weg zur Toilette um das Gebäude herum nicht ohne die Mutter gehen wollte. Ich verstand die Einzelheiten der Diskussion nicht, die beide führten, schließlich brach das Kind aber in Tränen aus. Es heulte, ohne sich noch einkriegen zu können, bis die Mutter aufstand und das Kind bei der Hand nahm. Ich sah sie jetzt nebeneinander. Zunächst war ich überrascht von der Frau, sie entsprach in allem, was ich eine schöne Frau nennen würde. Schwarzes glattes Haar, ein Gesicht, so schön wie das von Anne Will, und eine Figur, an der ich nichts auszusetzen fand. Ich fühlte, wie sehr sie mich ansprach. Das Kind, das ich für eine Tochter hielt, glich der Mutter in keiner Weise. Es war einen Kopf größer als sie, wirkte massig, von der klobigen Kontur eines Schranks, eine rechteckige Figur, der ein strohblonder Bubikopf aufsitzt. Schluchzend an der Hand der Mutter ging das Kind, dessen Alter ich kaum zu fassen wusste, vielleicht 20, vielleicht auch 30. Als ich schon meinte, sie seien doch nicht zur Toilette gegangen, sie seien vielmehr fortgegangen, kam die beiden um die Ecke des Gebäudes, das Kind unverändert an der Hand der Mutter, beruhigt, jedenfalls nicht mehr aufheulend, nur noch ein wenig jammernd und klagend, während die Mutter behutsam auf sie einsprach. Die Rast hielt alles, was ich mir von ihr erhofft hatte. Auch das zweite kühle Getränk rann wundervoll durch die Kehle, das Stück Pflaumenkuchen und auch der Kaffee dazu waren über jeden Zweifel erhaben, alles war vortrefflich.

Dann heulte das Kind auf, es war ein Aufheulen, das das Herz durchtrennte, ein Aufschrei, der der allertiefste war, die grenzenlose Verzweiflung über das ungeheure Unrecht, den Schrecken des Lebens.  

Dann heulte das Kind auf, es war ein Aufheulen, das ins Herz schnitt, ganz wie der elementarste Aufschrei, den es geben kann, über das Elend allen Lebens. Die Mutter sprach jetzt deutlicher, legte den leisen, schlecht vernehmbaren Flüsterton ab. Ich bekam Worte zu hören, zu verstehen. Sie hielt dem Kind vor, doch zu bedenken, dass es doch ein Junge hatte sein wollen, es könne jetzt nicht einfach wieder ein Mädchen sein, die Operation, die Medikamente, das sei kaum rückgängig zu machen. Sie verwies auf die Kosten, die Anträge, die zu stellen und von den Fachkräften zu bewilligen seien. Das Kind schluchzte, alles, was es vorzubringen hatte, war Jammern und Klagen, ein nicht versiegender Weinkrampf. Die Terrasse war ein winziger Verschlag geworden, in dem mehr und mehr die Luft ausging. Als ich nur noch davon wollte, fiel mein Blick auf den Vater, der nicht ein Wort gesprochen hatte, der in all der Zeit mit Nachdenken beschäftigt geblieben war. Sein Anblick machte mich weich, was für ein schöner Mann, hallte es in mir, so schön wie Giovanni di Lorenzo. Die beiden, Mutter und Vater, konnten als ein Traumpaar gelten.         

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