Die Vielfalt ist das Thema der Stunde – nur begegnet bin ich ihr nicht. Dabei darf man wohl die Voraussetzungen dafür beispiellos nennen. 20 000 Ausstellungsstücke bietet das Humboldt Forum auf vier mehr als weitläufigen Ebenen, nach allen Regeln der Kunst vorteilhaft präsentiert.
Afrika, Ozeanien, Asien, Amerika, die Welt stellt sich hier vor, so sollte man meinen. Doch schon in der ethnologischen Ausstellung, der mein vorrangiges Interesse galt, bin ich stecken geblieben, verlor ich den Mut, in diesem Großprojekt etwas entdecken zu wollen.
Es waren die Dinge einer anderen, einer mir unbekannten Welt, auf die ich gehofft hatte, was ferne Völker hervorgebracht hatten, erschaffen aus ihrem Erfahrungsschatz, ihrem Umgang mit den zur Verfügung stehenden Materialien, von der Absicht geleitet, Zweckmäßiges herzustellen, sich dienlich zu machen, es zu bemalten und verzierten, es in ihrem Sinne zu verschönern, Krüge, Schalen für die normalen, täglichen Verrichtungen, mir ganz ungewöhnlich vorkommende Trommeln, mit denen sich die Menschen im Grasland gegenseitig warnen oder zu Festen einluden, Speere für Waffengänge, Masken für Totenfeiern, handgenähte, mit Mustern versehene Kleidung, Auslegerboote, mit denen sie aufbrachen hinaus auf die Weltmeere. Mit jedem dieser Gegenstände ist eine Herstellung, eine Anwendung verbunden, ein Bericht darüber könnte dazu beitragen, einen Begriff, eine Vorstellung zu bekommen vom Leben der mir fernen und unbekannten Völker. Worauf ich aber gestoßen werde, worin die Ausstellungsmacher die mir zustehende Information sehen, ist allein die Art und Weise der Inbesitznahme der Exponate durch Kolonialherren, die, so das Ergebnis meiner Lektüre bis zu dem Punkt, an dem ich das Weiterlesen aufgab, durchweg heimtückisch und räuberisch war. Jedes Exponat ein Zeugnis für begangenes Unrecht. Und selbst dort, wo das Exponat nicht geraubt wurde, wie beim Thronsessel, den König Njoya, der als mächtiger Herrscher in der deutschen Kolonie Kamerun beschrieben ist, dem Deutschen Kaiser Wilhelm II. zu Geburtstag schenkte, wird der Nachweis geführt, letzten Endes liege doch kein Geschenk vor. Es handele sich vielmehr um ein gewaltsam abgepresstes Geschenk. Die Botschaft, die alle Texte, alle Information durchdringt, ist kinderleicht auf einen Nenner zu bringen: Alles, was hier an historischen Ausstellungsstücken zu sehen ist, ist geraubt, eine widerrechtliche Aneignung, ist ein Unrecht. Dieses bedingungslos eingehaltene und durchgehaltene Muster, dessen wie ausgestanzt wirkende Stereotypie ermüden und ertöten schließlich jedes Interesse an den ausgestellten Gegenständen.
Der Kolonialismus war ein Verbrechen, war grausam und die Völker, die ihn erlitten, sind von den Verheerungen und Verwüstungen, die durch Gewalttaten angerichtet wurden, bis heute gezeichnet. Nur hatten die Völker nicht auch vor der Kolonialzeit und selbst während dieser noch ein eigenes Leben? Gab es in der langen Spanne der Kolonialherrschaft, in der Ausstellung kommen nur die Kriege, die Seuchen, die Massaker vor, nicht auch Abschnitte, Phasen eines eher friedlich gefassten Miteinanders zwischen den Eindringlingen aus Europa und der ansässigen Bevölkerung, Momente oder Versuche, vielleicht auch Ansätze, eines doch irgendwie friedfertigen, einvernehmlichen Miteinanders? An welchem Ungleichgewicht der Macht, aber auch an welcher Unvereinbarkeit der Vorstellungen mussten Ansätze solcher Art, wo sie sich denn regten, letztlich scheitern und regelrecht zerschellen?
Die Ausstellungsmacher setzten sich dem Verdacht aus, sie hielten sich für die ersten, zumindest die ersten richtigen Versteher und Ankläger des kolonialen Unrechts. Bei genauerem Hinsehen zeigt sich aber, dass sie in der Sache nichts Neues beisteuern, lediglich auf längst Bekanntes zugreifen, jedoch die längst etablierte und zum Allgemeingut gewordene Verurteilung des Kolonialismus mit neuer Schärfe hochladen, die Anklage mit einer neuen, einer höheren Portion Hass versehen, was ihr den Anschein einer großen Neuerung verleihen soll, die im Kern im Selbstwertgefühl besteht, erst sie, die neuen Macher verstünden die Schrecken des Kolonialismus richtig und korrekt.
Auch wenn das Ausstellungsvorhaben in dieser Breite und in diesem Umfang Lob und durchaus auch Bewunderung verdient, mir gibt es nichts, ich bin enttäuscht, dass ich so gut wie nichts über eine ferne, mir unbekannte Welt erfahre, von den Menschen Afrikas oder Ozeaniens, die, diesen Eindruck hinterlässt die Ausstellung, nie und zu keiner Zeit ein eigenes Leben führten, beinahe, so fürchte ich, dient der außerordentliche Aufwand des Humboldt Forums nur dazu, all die Völker, all die Menschen, die auch heute in den mir so fernen Ländern leben, die längst das Joch der Kolonialherrschaft abgestreift haben, zum Verschwinden zu bringen, sie als Opfer zu begreifen und nichts darüber hinaus, meine Wahrnehmung und nicht nur sie, sondern auch die Völkerschaften selbst in einer Opferperspektive einzumauern.
Beinahe tückisch kommt mir das Argument vor, die ausgestellten Gegenstände könnten und dürften hier im Humboldt Forum nichts über die Kulturen sagen, aus denen sie hervorgingen, ein unverfälschter, richtiger und korrekter Ausdruck sei ihnen erst wieder im Ursprungsland abzugewinnen, in der Umgebung ihrer Herkunft. (Wobei auch die beschworene Ursprungsumgebung nicht mehr ganz so ursprünglich sein dürfte). Die Weigerung, über andere Kulturen nichts sagen zu wollen, nichts mehr zu vermitteln, darin einen entschieden zu geißelnden Übergriff, einen neokolonialen Akt kultureller Aneignung zu sehen, löscht in letzter Konsequenz all die fremden Völker und Kulturen in der Wahrnehmung nur aus. In der Zeit des Kolonialismus zogen Forscher und Entdecker wie Alexander von Humboldt aus, um das Andere, das Fremde zu entdecken, uns ein Verständnis davon zu geben. Sie brachten den noch unbekannten Völkern eine Aufmerksamkeit, eine Neugier, ein wissenschaftliches Interesse entgegen.
Man muss nicht von einem neuen, sich nicht mehr auf materielle Güter, sondern sich auf die Geisteswelt beziehenden Kolonialismus sprechen, aber es erstaunt doch, wie ein elitäres, sich als Avantgarde verstehendes Netzwerk westlich geprägter Ideologen festlegt, wie sich die vom Kolonialismus befreiten Völker zu verstehen haben, ihnen in einer unerschütterlich Ausschließlichkeit die Opferrolle zugeschrieben und vorgeschrieben wird. Was es über diese Rolle geben mag, wird nicht wahrgenommen.
Das liegt in der Natur dieser Netzwerke, deren Ansinnen und Anliegen darin besteht, eine Transformation der Gesellschaft in all ihren Zuständen zu betreiben. Die ideologische Aufgabe darin besteht, ganz pauschal das Alte, eben all das, was nach Tradition oder Überlieferung riecht, abzuräumen, um das Neue, das sie mittels eigener wissenschaftlicher Arbeit definieren, zu platzieren. Formen, die sich seit Menschengedenken herausgebildeten, in denen das private, familiäre, kulturelle Leben eines Volkes eine Widerspiegelung fand, kurz ein erworbenes Brauchtum, eine erworbene Tradition können den Priestern des Neuen nur hinderlich, nur eine Störung sein, es gilt all das zu brechen, damit die Transformation der Gesellschaft in ihrem Sinne vonstattengehen kann.
Die verhießene Vielfalt – im Humboldt Forum wäre sie zu finden, herrschte dort nicht die Einöde einer Ideologie.
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