Besser konnte der Stamm nicht platziert sein, ein anmutiger Rücken, der sich im Wiesengrün bescheiden hervortat. Ich machte mich los vom Weg der Wanderer, nach zehn ausgewogenen Schritten war ich zur Stelle, bereit, auch wenn nur als Einzelner, für eine Sitzreihe, die für einen Block von fünf Personen hergerichtet
war, die verleitet vom Zauber des Tages gedachten, ein Landschaftsbild zu betrachten, den Reichtum an Licht und Schatten, an Formen eines Hebens und Senkens, die Grenze von Himmel und Erde so fern, dass sie nicht wahr sein konnte. Es war ein Schauen, über das ich die Zeit vergas und die Last des Beschwerlichen, das sie mit sich führt.Wie ein Fachmann es ausdrücken würde, hatte ich mich auf Weideland niedergelassen in einer Gegend, die sich vom Charakter her durch ein Wellenformat auszeichnete. Rinder weideten, ringsum, überall. Sie bestanden die Höhen und die Senken, von denen ich keinen Begriff hatte, wie weit sie den ins Grün vertieften Fressern zur Verfügung standen, eine Linie, überhaupt eine Art Begrenzung war nicht erkennbar, vor allem, weil eine sich im Vordergrund aufplusternde Erhebung meiner Einsicht in das Weideland schnell ein Ende bereitete. Die Rinder waren ausnahmslos herrlich, alle, derer ich ansichtig wurde, verströmten ein Bild des Friedens, stattlich, wohlgenährt neigten sie ihre Häupter die triefenden Mäuler in froher Fühlung mit Halmen, die nach den Säften die süßesten sein mussten.
Wahrlich das Bild eines Friedens stellten sie dar, das Bild eines ewigen Friedens, der unterstrichen und betont wurde und wohl auch bewacht durch eine Kuh, die herausragte und aufragte, durch ihre Stellung, die sie auf der Erhebung, die sich im Vorgrund plusterte, inne hatte, eine Erhebung, von der mir deuchte, es sei die erhabendste unter den Erhebungen, derer ich ansichtig wurde, was ich nicht erstrangig auf das Pure der Höhe zu beziehen gedachte, die, wie ich einmal gelernt hatte, in Metern zu messen sei, sofern ein Instrument zur Verfügung steht, vielmehr erhaben durch eine Anmut, die Anmut der Wölbung, auf der die Kuh aufgerichteten Hauptes inne hielt, gleichfalls anmutig, in einer Anmut, die wohl jedes Auge verleitete, sich an ihr zu laben.
Gerade, geradezu wie auf Säulen stand das Kalb, das schon sehr einer fertigen Kuh glich. Das Fell rief einen Eindruck hervor, hochgradig flauschig zu sein, und unvergleichlich reiner als das all der fressenden Rinder, die sich mit Sicherheit schon einmal in einer Laune im Unsauberen des Weidelands gewälzt hatten. Unverrückbar und regungslos wie eine Statue harrte das Kalb aus, mit nichts anderem beschäftigt, als zu schauen, nachzuschauen.
Es lag ein großes Gefallen im Anblick der jungen Kuh. Ich sah mit der Zeit über die vier kraftvollen Keulen, die ihr auf der Wölbung zu einem sicheren Stand verhalfen, ebenso wie über das Flauschige ihres warmbraunen Fells, in dem ich rein weiße Flecken eingearbeitet fand, hinweg. Es war das Große einer Besonderheit, die von ihr ausging, die Reglosigkeit im Auftreten, die sichtliche, ja ins Auge springende Abkehr von den gesenkten Häuptern der Fressenden, die allein Nahrungsaufnahme betrieben. Das Kalb trug erhoben sein Haupt, wand sich nicht mal im Ansatz den Halmen zu, denen ihre Artgenossen doch mit Hingabe zusprachen und deren süße Säfte ihnen eine tiefe Zufriedenheit bescherten.
Der Zauber des Tages hatte mich veranlasst, mich niederzulassen, und ich vergas die Zeit und die Last des Beschwerlichen, das sie anspült. Ich nahm das Landschaftsbild auf, einen Reichtum an Licht und Schatten, an Formen eines sich Hebens und sich Senkens, die Grenze von Himmel und Erde unfassbar für das Auge, dass ich von ihr nichts mehr wusste.
Die Tests, die ich in Abständen anstellte, ergaben das immer gleiche Ergebnis. Das Kalb änderte seine Haltung nicht, reglos, unverrückbar harrte es aus auf der Erhebung, die kraftvollen Keulen wie Säulen auf der Wölbung positioniert, die Augen ohne ein Zwinkern wie zwei Bohrlöcher von großer Dunkelheit.
Ich kam dahin zu bemerken, dass etwas darin lag, dass der Blick der jungen Kuh nicht schweifte, unbeweglich war, ein starrer, kompromisslose Blick, der ausgerichtet war, dass er nur in die eine Richtung ging, in dessen Zentrum ein Wanderer saß, der sich im Weideland auf dem schmalen Rücken eines Stamms niedergelassen hatte.
Etwas von der Art eines Impulses, über den ich nichts zu sagen weiß, verleitete mich, fortan einen Teil meiner Blicke dem Kalb zu schenken, obgleich mein Ansinnen darin bestand, in die Landschaft zu schauen, einen Reichtum zu betrachten, den Mutter Natur immerdar zur Verfügung stellt. Natürlich maß ich den bohrlochdunklen Augen nichts von einer Bedeutung bei, und dennoch bahnte sich eine Regelmäßigkeit an, mit der ich den Blick vom Landschaftsbild abzog und ihn hin zur Erhebung richtete, wo die Kuh auf kräftigen Keulen stand. Es mag Neugier im Spiel gewesen sein, die Frage, ob sie sich aus ihrer Reglosigkeit lösen, sie ein wenig lockern würde. Was ich aber feststellte, war das Unabänderliche einer Starre, von vier Säulen, des Statuenhaften ihres jungen Körpers, einer immergleichen Ausrichtung des Kopfes, den das Kalb merklich erhoben hielt.
Was mich im Laufe der Zeit betroffen machte, war dieser Blick, in dem Unverrückbares eine Dringlichkeit, eine Steigerung erfuhr, die Starre, die im Körperlichen eindrücklich bestand, übertroffen wurde. Ich kam nicht umhin, den Blick, in dessen Zentrum ich mich begriff, zu empfinden, in ein Gefühl zu geraten, den Blick des Kalbs als stählern aufzufassen, glatt und blank wie eine Klinge, strahlend in Sauberkeit. Dieses Stählerne, wie ein Laser auf den Punkt fokussiert, musste, diese Überzeugung ging mir auf, einen Ursprung haben, eine Quelle, gespeist werden, wobei ich an ein Behältnis, einen vorhandenen Kessel dachte, in dem es siedendheiß zugeht, dessen Inhalt die Manier von Lava annimmt und wie sie blubbert.
Gewiss, es handelte sich, so mein Erkenntnisstand, um eine Kuh. Also, ich durfte diesen Blick, in dem das Böse einer Feindschaft lag, wobei ein Empfinden, das sich in mir regte, bedeutete, es könnte sich gar um das Urmaß des Bösen handeln, als den Blick einer Kuh abtun, die überdies noch ein Kalb war. Mit der Dauer zog ich mir jedoch Gewissensbisse zu, kamen mir Zweifel, ob ich mich mit dieser Ansicht noch auf der Höhe des Wissens bewegte, sie auch dem neuesten Stand entsprach. Lag inzwischen nicht ausreichend Wissenschaft vor, wonach weniger das Gegensätzliche zwischen Mensch und Tier zu sehen sei, der Unterschied zwischen einem Rind und einem Bürger weit geringer ausfalle als weithin gedacht, in einer Weise geradezu minimal, dass über ihn hinweg gesehen werden kann, ja hinweggesehen werden muss, über das, was der bloße Augenschein suggeriert. Ich kannte ja den Zug der Zeit, Neues zu sehen. Neue Sichten anzunehmen, sich im Gleichen zu verstehen.
Nach einer halben Stunde, ich habe den Umfang meines Nachdenkens derart empfunden, entdeckte ich eine Schande. Es war unfassbar, wie groß sie tatsächlich war. Niemand hatte sie mir gezeigt, da ja keiner da war, sich nirgends eine Person aufhielt auf dem Weideland. Dennoch, von den Einzelheiten mal abgesehen, verstand ich jetzt, dass eine Schande vorlag. Ich wusste sogar, es ging auf einmal schnell, als mir auch schon der nächste Schritt gelang, dass die Schande nicht im Allgemeinen existierte, etwa wie ein laues Lüftchen, das sich über dem Weideland eben mal kräuselt. Nun endlich schaute ich in den Spiegel, ich war es, ich war die Schande.
Tatsächlich. Es war schon so, es lag etwas vor. Ich kam nicht umhin, es einzugestehen. Verging ich mich nicht am Weideland, auf dem ich mich niedergelassen hatte? Was für Gedanken machte ich mir schon über die Größe der Fläche, die den Fressern tagein tagaus zur Verfügung stand? Ich verging mich. Ich sah es deutlich. Ich war es, der Anlass bot für dieses Brodeln im Kessel, rief Unmut hervor, glaubte ich doch, mich der Landschaft hingeben zu können, ohne auf die Rinder achten zu müssen. Was war das für ein Verhalten, sich im Weideland auf den Rücken eines Stamms einfach niederzulassen, einzig im Sinn, einen Platz, wie er nicht schöner sein kann, einzunehmen. Da hockte ich nun im Angesicht der Landschaft, einem Reichtum an Licht und Schatten, an Formen des Hebens und Senkens, die Grenze von Himmel und Erde unfassbar für das Auge unter der Aufsicht dieses Kalbs in meiner Schuld.
Kommentar hinzufügen
Kommentare