Ost-West-Spielchen

Veröffentlicht am 22. Juli 2025 um 13:51

Da ist er wieder, wie gewöhnlich meldet er sich zu Wort. Wie lange das schon so geht, kann ich nicht mal sagen, dem Gefühl nach ist er schon immer da gewesen, in jeder Diskussion, auf jedem Podium. Er räuspert sich ein wenig, auch scheint es, als rekle er sich einen Moment, nur um es sich auf der ihm zur Verfügung stehenden Sitzgelegenheit auch heimelig genug zu machen, um die eigenen Worte, von deren Klang er überzeugt ist, hinlänglich genießen zu können. Darin erinnert er mich an Giovanni di Lorenzo, und auch beim etwas längerem, leicht gewellten Haar, nur die durcheinander stehenden Barthaare, und überhaupt ein Eindruck von Nachlässigkeit, die nicht gewillt ist, sich dem Vorwurf der Verwilderung zu entziehen, sprechen gegen diesen Vergleich.

Die Frage, die er, seit ich ihn kenne, stellt, nach einer Erklärung, die eine tiefe Bekümmernis über die Ostdeutschen enthält, warum sie so blind und so zahlreich die AfD wählen? In eine auf gefälligen Schleifen ausgeführte Ratlosigkeit mischt sich ein Reigen von Andeutungen, die aber auf einen Grundton abgestimmt sind: die Sozialisation in der Diktatur der DDR, ein daraus resultierender Mangel an Verständnis dessen, was Demokratie ist. Auch diesmal werde ich enttäuscht. Der, der auf dem Podium sitzt, der ein Ostdeutscher, aber dennoch zu den Großen im Lande zählt, dessen Bart, der im Antlitz Friedrich Engels eine Entsprechung findet, und den von daher jeder im Land kennt. Selbst er lässt die Frage, die nur eine Feststellung einkleidet, unwidersprochen stehen, weist ganz im gebräuchlichen Sinn auf das Leben in der Diktatur hin.

Verrückt, denke ich, da lässt sich ein Westdeutscher über Ostdeutsche aus, ohne es nötig zu finden, sich selbst einmal im Spiegel anzusehen, nicht zu bemerken, ein verstocktes Nicht-bemerken-wollen, dass ungeachtet hoher Prozentzahlen im Osten die zahlenmäßige Hauptmacht der Partei im Westen zu finden ist. Wie schade, denke ich, dass selbst der große Ostdeutsche, es den Westdeutschen so einfach macht, ein Problem, das aus dem Zustand des gesamten Landes erwächst, und anderen Umständen entspringt, als es die üblichen Ost-West-Spielchen nahelegen, dreist in den Osten entsorgen lässt, um sich selbst schlanken Fußes vom Acker machen zu können.

Beinahe laut auflachen muss ich über ein so einfältiges Verständnis, wonach einer, der eine Zeit im Gefängnis saß, es alsbald derart liebgewinnt, dass er von seinen Mauern nicht mehr lassen kann. Vielleicht, einem Westdeutschen sicher unvorstellbar, ist es genau anders herum,  dass gerade ihnen mit ihrer Anhänglichkeit an einen guten Staat, dem die überwältigende Mehrheit etwa in der Corona-Zeit vorbehaltlos gehorchte, mit ihrer glaubensähnlichen Anhänglichkeit an liebgewonnene Parteien es gerade ihnen mangelt an einem Blick für totalitäre Ansätze und Strukturen, etwas was aus dem Erlebnis eines übergriffigen Staates zum elementaren Erfahrungsschatz der Ostdeutschen gehört.   

Kommentar hinzufügen

Kommentare

Es gibt noch keine Kommentare.